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So wird ihr Software-Projekt zum Erfolg
Software-Projekte stehen im Verruf, sie sind Synonym für Kosten- und Zeitüberschreitungen geworden. Das ist schade und falsch. Wenn Sie diszipliniert planen und die folgenden Empfehlungen beachten, halten Sie Zeitplan und Budget ein.
Die folgenden Tipps haben wir in unseren Jahren als Startup und Agentur gesammelt – und teils hart erarbeitet.
Tipp 1
Seien Sie verdammt klar
Oberstes Ziel aller Planung ist, Risiken zu minimieren. Das bedingt, dass Sie sich im Vorfeld mit dem Vorhaben und allen Betroffenen auseinandersetzen und dass Sie sich festlegen – klar und deutlich. Bringen Sie dazu alle Beteiligten mit an Bord, holen Sie früh ihre Erwartungen ab. Eliminieren Sie Interpretationsspielraum und Unsicherheiten. Kommunizieren Sie offensiv, informieren Sie regelmässig. Zwingen Sie sich selbst, Ihre Vorgesetzten, Ihre Agentur zu ganz präzisen Aussagen. Halten Sie Features, Kosten, Zeitplan und Verantwortlichkeiten schriftlich fest. Das ist mühsam und kostet im Vorfeld viel Zeit. Es nicht zu tun, kostet Sie das Vielfache.
Tipp 2
Beschränken Sie den Umfang
Das Risiko wächst exponentiell zur Grösse eines Projekts. Agenturen berücksichtigten das Risiko bei ihren Kostenschätzungen. Grosse Projekte werden deswegen exponentiell teurer und gleichzeitig risikoreicher.
Software kann jederzeit erweitert werden. Starten Sie mit dem notwendigen Minimalumfang (siehe Messen und lernen Sie) und erweitern Sie die Software später. Wenn ein Feature nicht zum Kernprodukt gehört oder wenn Sie nicht wissen, ob seine Implementation mehr kostet als sie finanziell bringt, verzichten Sie darauf – vorerst.
«Halten Sie Ihre Agentur bezüglich Feature-Set an einer verdammt kurzen Leine.»
Tipp 3
Messen und lernen Sie
Jedes neue Projekt, das ein Unternehmen plant, gleicht einem Startup: Es ist gekennzeichnet von Ungewissheit. Marktforschung ist spannend, bleibt aber hypothetisch. Erst in der Wirklichkeit erfahren Sie, ob Ihre Erwartungen erfüllt werden – veröffentlichen Sie Ihre Software deswegen möglichst früh.
Beachten Sie dabei zweierlei:
1 — Richten Sie sich nach dem Kunden: Software-Design ist häufig von Gefühlen und Meinungen getrieben («Ich denke, der Nutzer könnte das wollen»). Weil jeder Beteiligte eine andere Meinung hat, kommen Sie kaum auf einen grünen Zweig. Hören Sie nicht auf Meinungen, sondern auf den Kunden. Arbeiten Sie wissenschaftlich: Stellen Sie Hypothesen auf, dann validieren Sie diese! Dazu müssen Sie das Nutzerverhalten messen und analysieren. Das Web ist dafür perfekt geeignet.
2 — Release early, release often: Starten Sie mit dem Produkt, das notwendig ist, um Ihre ersten Annahmen zu validieren – mehr nicht. Arbeiten Sie in Iterationen (in kontinuierlichen kleinen Schritten) und in einem «Build-Measure-Learn»-Cycle: Jeden Schritt planen Sie; dabei legen Sie die Erwartungen an das Nutzerverhalten fest. Dann setzen Sie um. Darauf messen Sie die Auswirkungen auf das Nutzerverhalten – und dann lernen Sie daraus! Darauf kommt der nächste Schritt, bei dem Sie bereits etwas mehr über den Nutzer wissen und dies einbringen können.
Übrigens: Agenturen mögen, was sie tun – sie tendieren deswegen zu unnötig «perfekten» Lösungen. Halten Sie Ihre Agentur oder Ihre Entwickler bezüglich Feature-Set an einer verdammt kurzen Leine.
Beispiel
Sie haben einen Online-Shop und starteten mit dem minimalen Umfang (beispielsweise Shopify mit einem Standard-Template, weil ihr eigenes Design zwar hübsch, aber auch teuer und dem Kunden vollkommen egal ist). Sie haben das Gefühl, dass die Bezahlung per Rechnung Mehrumsatz bringen könnte:
1 — Klären Sie den Preis für eine möglichst einfache Implementation der Bezahlung per Rechnung mit A/B-Testing ab – Basteln ist erlaubt und Google Analytics Ihr Freund.
2 — Definieren Sie Ihre Erwartung: 25% Mehrumsatz und 10% höheren Retourenquote bei jenen Nutzern mit Bezahlung auf Rechnung (B-Gruppe).
3 — Schalten Sie den A/B-Test live.
4 — Werten sie Mehrumsatz und Retourenquote aus, sobald das Daten-Sample genügend gross ist. Liegt das Nutzerverhalten über den Erwartungen, implementieren Sie die Bezahlung per Rechnung definitiv und für alle Nutzer. Ansonsten lassen Sie das Feature fallen, um Produktumfang, Fehleranfälligkeit und Unterhaltskosten tief zu halten.
Tipp 4
Lassen Sie pitchen
Sie haben Ihre Lieblingsagentur gefunden? Bleiben Sie bei ihr: Vertrauen ist wichtiger als kleine Kostenvorteile. Wenn nicht, evaluieren Sie zwischendurch Alternativen.
Anhand eines Pitches können Sie Agenturen bestens vergleichen – wenn er richtig vorbereitet wird. «Pitch» ist ein Unwort für (Verkaufs-)Präsentation. Agenturen haben dabei 30–60 Minuten Zeit, ihre Fähigkeiten anhand eines konkreten Umsetzungsvorschlags unter Beweis zu stellen.
Erstellen Sie ein präzises aber kurzes Briefing (2 Seiten max.), das folgende Fragen beantwortet, der Agentur aber Freiheiten bei der Ausgestaltung der Lösung lässt:
- Wer sind Sie und wie gliedert sich das Projekt in Ihr Unternehmen und Ihre Systeme ein (Vorwort)?
- Welche Ziele wollen Sie mit der Software erreichen (Strategie: Leads, Sales, Information, weniger Support-Aufwand), wer ist das Zielpublikum?
- Was soll die Software können (funktionale Anforderungen/Use Cases)?
- Welche Vorgaben bestehen bezüglich Design, eingesetzter Software (Open Source, Support) und Schnittstellen?
- Was genau soll die Agentur liefern (siehe Beispiel)?
- Haben Sie spezifischere Wünsche? (Wenn Sie unbedingt viele grosse Bilder auf Ihrer Website wollen, dann sagen Sie das)
Seien Sie fair: Der Aufwand für Vorbereiten und Halten eines Pitches beträgt gern 20–60 Stunden. Entschädigen Sie, wenn auch nicht fürstlich. Und laden Sie nicht mehr als vier Agenturen ein.
Beispiel für die Anforderungen an den Pitch
«Wir erwarten (Firma ABC)
- ein kurzes Konzept (max. 10 Seiten) im Vorfeld
- eine maximal 30-minütige Präsentation, danach 30 Minuten für beidseitige Fragen
- eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Informationsarchitektur und eine Sitemap
- ein Workflow-Diagramm für den Checkout
- grafische Entwürfe für die Frontseite, Detailseite und den Checkout (jeweils Mobile und Desktop) in zwei Varianten
- eine Vorstellung der eingesetzten Technologien
- eine Richtofferte für die Umsetzung, unterteilt in Konzept, grafische Gestaltung, Umsetzung, Unterhalt pro Monat.»
Tipp 5
Schaffen und verlangen Sie Transparenz
Es gibt viele Entwicklungs-Modelle (agil, iterativ, lean, scrum – blabla). Agenturen lieben, damit zu werben. Wichtig ist einzig: Das Modell muss Ihnen liegen und Sicherheit bezüglich Features, Kosten und Zeit geben.
Stellen Sie sicher, dass Sie in den Entwicklungsprozess sehen – nichts ist demotivierender als Blindflug. Bei uns hat sich bewährt, grössere Projekte in kleine und messbare Meilensteine (man könnte sie «Sprints» nennen) zu unterteilen. Jeder Meilenstein:
- dauert maximal zwei Wochen
- hat eine Deadline und eine zugehörige Aufwandschätzung
- ist für den Kunden sichtbar (hat also ein User-Interface)
- hat einen zugehörigen Acceptance-Test
- wird von dem Kunden anhand der Acceptance-Tests abgenommen
So sinkt das Risiko für den Kunden (er weiss und sieht, wo Entwicklung und Budget stehen) und für die Agentur (Meilensteine werden abgenommen). Den Fortschritt jedes Milestones halten wir laufend fest – so lassen sich Budget und Zeitplanung von Anfang an vergleichen, Fehlentwicklungen können wir frühzeitig beheben. Und das ist zentral: Nichts ist motivierender als Fortschritt, der greifbar ist.

Beispiel
- Wenn
- Sie nicht eingeloggt sind
- zur Login-Maske gehen (/anmelden)
- dann
- wird ein Formular mit einem Eingabefeld «E-Mail» angezeigt
- darauf
- geben Sie eine ungültige E-Mail-Adresse ein
- dann
- wird eine Fehlermeldung («Ungültige E-Mail-Adresse») angezeigt
- darauf
- geben Sie eine gültige E-Mail-Adresse an, mit welcher Sie sich noch nicht registriert haben
- dann
- wird ein Text «Registrieren Sie sich bitte» und ein Eingabefeld «Passwort» angezeigt
- …
- Wenn
- Sie eingeloggt sind
- zur Login-Maske gehen (/anmelden)
- dann
- werden Sie auf Ihr Nutzerprofil weitergeleitet
«Es wird Bugs geben, Software-Updates, Server-Downtimes. Holen Sie die Kostenschätzung dafür vor der Umsetzung ein.»
Tipp 6
Preis ≠ Aufwand * Stundensatz
Geschätzter Aufwand und Stundensatz ergeben den Preis einer Software? Falsch:
- Das gilt während der Umsetzungsphase nur, wenn die Anforderungen ganz klar sind; ist dies nicht der Fall, müssen Sie mit unerwarteten Zusatzkosten rechnen.
- Nach der Umsetzung kommt der Unterhalt: Es wird Bugs geben, Software-Updates, Server-Downtimes, Hosting-Gebühren. Holen Sie die Kostenschätzung dafür bereits vor der Umsetzung ein (z.B. über ein SLA).
- Stellen Sie sicher, wer Verantwortung und Kosten für welche Software-Fehler (Bugs) trägt. In der Regel gilt: Versteckte Mängel, die Sie bei der Abnahme nicht sehen können, gehen zu Lasten der Agentur, andere bleiben bei Ihnen hängen. Stellen Sie also sicher, dass für die Abnahme genügend Ressourcen bereitstehen und sie sehr, sehr ernst genommen wird.
- Sowieso: Rechnen Sie bei jeder Projektplanung genügend Zeit für Tests, Bugfixes und Releases ein.
- Wenn mehrere Unternehmen involviert sind, besteht das Risiko unklarer Verantwortung. Stellen Sie sicher, dass Sie ein einziges verantwortliches Unternehmen und dabei eine einzige Ansprechperson haben. Und dass Sie dieser vertrauen.
- Schnittstellen (APIs) sind Teufelszeug und aufgrund der Abhängigkeit von Drittanbietern das wohl grösste Risiko bei der Softwareentwicklung. Definieren Sie ganz genau, welche APIs angebunden und welche Daten übertragen werden, wer die Datenhoheit hat und dass die Anbindung automatisiert getestet wird.
Bonus-Tipp
Schauen Sie bei der Wahl der Agentur nicht nur auf den Preis. Holen Sie Referenzen von vergleichbaren früheren Projekten ein, beurteilen Sie ihre Glaubwürdigkeit, Arbeitsweise, Beratungsqualität und Belastungsfähigkeit.
Und berücksichtigen Sie Ihr Bauchgefühl: Wie steht es um die Motivation der Agentur, nach welchen Anreizen arbeiten ihre Angestellten? Stellt sie kurzfristigen Profit über Ihren nachhaltigen Erfolg? Wissen die Leute wirklich, wovon sie reden – oder fallen zu viele englische Begriffe?
Tipp 7
Wählen Sie praktisch vor schön
Schönes Design ist schön – aber nicht mehr. Software ist interaktiv: Entscheidend für den Erfolg ist nicht ihr Aussehen, sondern ihre Funktionsweise. Die grossen Player – Amazon, Facebook, von mir aus auch Zalando – sind oder waren lange Zeit richtiggehend hässlich. Wenn Sie am Erfolg und nicht an einem kurzen «Wow» interessiert sind, entscheiden Sie nicht aufgrund des Aussehens, sondern aufgrund der Überlegungen, welche dahinter stehen.
Fragen Sie die Agentur nach dem «Wieso»:
- «Wieso haben Sie zum Einstieg eine Slideshow verwendet?» (Bei einer Slideshow ist nur eine Slide sichtbar, alle anderen brauchen einen Klick oder Zeit; zentrale Inhalte sind also versteckt)
- «Wieso verwendet das Mobile Menu einen Hamburger?» (Viele Nutzer kennen das Icon mit den drei Strichen nicht und alle Inhalte des Menus sind hinter einem Klick versteckt; die Navigation, wichtigstes Element vieler Seiten, ist geradezu unsichtbar).
- «Wieso muss ich mich registrieren?» (Eine Registration ist für den Nutzer ein häufiger Grund, einen Checkout abzubrechen, kann Sie also einen Verkauf kosten – ohne dass Sie einen sinnvollen Gegenwert erhalten dafür)
Gibt Ihnen die Agentur keine Antwort, welche Sie nachhaltig beeindruckt, dann lesen Sie das Kapitel «Lassen Sie pitchen».
Zusammenfassung
Schaffen Sie im Vorfeld Klarheit. Blinde Flecken können Sie ein Vermögen kosten. Beschränken Sie den Umfang – seien Sie diesbezüglich hart zu Ihnen, zu Ihren Vorgesetzten, zu Ihrer Agentur. Testen Sie früh am Markt, messen und insbesondere: lernen Sie! Vergleichen Sie Agenturen. Hinterfragen Sie. Letztlich, wie unsere Miss Schweiz so schön sagte: «Wie bei der Wahl zur ‹Miss Schweiz› zählen auch bei Webseiten innere Werte: Nutzerfreundlichkeit, Struktur, Übersichtlichkeit und Inhalt.»